Gesundheit

Klinik gibt Patienten für 800 Euro früheren Termin

In ihrem "Priority-Modell" gibt die orthopädische Klinik Luzern Patienten die Möglichkeit, gegen einen Aufpreis früher einen Termin zu bekommen.

04.03.2023, 17:10
Die Hirslanden-Gruppe sieht sich trotzdem im Recht, da die betroffenen Behandlungen ihrer Meinung nach nicht unter das KVG fallen.
Tamedia

Eine Patientin der Orthopädischen Klinik Luzern AG wunderte sich, als sie einen Brief der Klink erhielt – der zuvor abgemachte Termin war nämlich erst in einigen Wochen. In dem Brief entdeckte sie dann einen Flyer für den "Priority Service" der Klinik, der eine Lösung für kürzere Wartezeiten anbietet.

Gegen eine Zahlung von 300 Franken (umgerechnet 301 Euro) wurde ihr im Schreiben die Möglichkeit geboten, innerhalb von zwei Wochen einen Termin zu erhalten. Für weitere 500 Franken wäre sie zwei Wochen später operiert worden. Bei einer Zahlung von insgesamt 800 Franken hätte die Frau ihr medizinisches Problem also innerhalb von vier Wochen und vor ihrem ursprünglich geplanten Termin lösen können.

Wer zahlt, dem wird schneller geholfen

Der Flyer der Klinik präsentiert sich als kundenorientiert und betont, dass man sich die individuellen Wünsche der Patienten zu Herzen nehme und ein "Prioritätenmodell" entwickelt habe. Im Klartext: Gegen eine zusätzliche Gebühr können sich Patienten bevorzugte Behandlungen und Termine sichern, verspricht der Flyer mit dem Slogan "No More Waiting". Der beschleunigte Operationstermin soll etwa eine "bessere Planung" ermöglichen.

Doch ist das überhaupt legal? Gegenüber dem "Beobachter" stellt das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG) klar: "Gemäß dem Tarifschutz im Krankenversicherungsgesetz (KVG) sind die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise verbindlich. Den Leistungserbringern ist es nicht erlaubt, zusätzliche Gebühren zu verlangen. Zusatzhonorare können nur dann erhoben werden, wenn medizinisch begründete Zusatzleistungen erbracht werden."

Rechtslage laut BAG kritisch

Das BAG erklärt weiter, dass vorgezogene Behandlungen medizinisch gerechtfertigt sein müssen und dass das KVG die medizinische Gleichbehandlung verlangt, die sicherstellt, dass alle Versicherten Anspruch auf eine rechtzeitige Behandlung haben. "Mit anderen Worten: Niemand darf wegen einer nicht bevorzugten Behandlung medizinische Nachteile erleiden", sagt Grégoire Gogniat vom BAG.

Die Hirslanden-Gruppe ist anderer Meinung. Mediensprecher Claude Kaufmann sagt, der Tarifschutz gelte nur für Leistungen, die unter das KVG fallen. Zusätzliche Leistungen ausserhalb des KVG können mit Zusatzgebühren belastet werden. "Das bedeutet, dass die betreffenden Leistungen nicht unter das KVG fallen und dort auch nicht in Rechnung gestellt werden."

"Notfälle haben immer Vorrang"

Bei den Zusatzleistungen handle es sich laut der Hirslanden-Gruppe um einen Mehraufwand, der durch die Organisation von schnelleren Terminen, das Auffinden von Lücken in Belegungsplänen oder der Planung von allfälligen Personalverlängerungen entstehe. Ob solche Zusatzleistungen in Anspruch genommen werden, müsse jeder Patient selbst entscheiden. Kaufmann betont: "Notfälle haben immer Vorrang vor elektiven Eingriffen. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit". Als elektive Eingriffe werden Operationen beschrieben, die nicht dringlich sind.

Trotzdem stößt das Geschäftsmodell auf scharfe Kritik. "Eine verkürzte Zeit zwischen Konsultation und Operation setzt die Patienten unter Druck", sagt Daniel Tapernoux von der Schweizerischen Patientenorganisation SPO. Eine Bedenkzeit vor jeder Operation sei, abgesehen von medizinisch dringenden Gründen, wichtig. Außerdem werde bei orthopädischen Eingriffen eine Zweitmeinung empfohlen, da seit Jahren der Verdacht bestehe, dass in diesem Bereich der Medizin zu schnell operiert werde.

Gefährlicher Trend in der Gesundheitsversorgung

Das BAG ergänzt: "Die Betroffenen dürfen nicht unter Druck gesetzt werden. Vor allem dürfen keine medizinischen Vorteile durch eine Vorzugsbehandlung versprochen werden." Das Angebot der Orthopädischen Klinik Luzern AG weist auf einen Trend in der Gesundheitsversorgung hin: Wer besser versichert oder bereit ist, aus dem eigenen Sack zusätzlich zu zahlen, wird eher behandelt. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die aus Geldmangel hohe Franchisen wählen und anschließend aus dem gleichen Grund nicht oder zu spät zum Arzt gehen.